– oder alt werden, ohne alt zu sein
Forscher drehen die biologische Uhr zurück. Erste Resultate der modernen Jungbrunnen-Wissenschaft zeigen vielversprechende Resultate, auch für die Schweiz.
Tatsache ist das heutzutage, klingt aber utopisch; Forscher konnten nachweisen, dass man Alterungsprozesse zu überlisten und verzögern vermag. Älter werden sei in der Tat ein «reversibler Prozess», erklärt David Sinclair, eine Größe der Altersforschung. Wiederholt belegte der Ko-Direktor des Paul F. Glenn Center for Biology of Aging Research an der Harvard Medical School, dass gewisse Jungbrunnen keine Phantasiegebilde sind. Überdies vermutet der Harvard-Professor für Genetik, dass jemand, der heute lebt, der erste Mensch sein wird, der seinen 150. Geburtstag feiert – auch er eine Koryphäe bezüglich «Dauerhaftigkeit von Leben».
Zuversichtlich sieht sich auch CEO Rob Konrad Maciejewski bei Biolytica in Zug: «Wer heute zwischen dreissig- und vierzigjährig ist, kann auf eine Lebenserwartung von über hundert Jahren zählen», hebt er im Gespräch mit der Weltwoche hervor.
Neuzeitliches Methusalem
Damit präventiv orientierte Kliniken, Ärzte oder Gesundheitscoachs vorteilhaft wirken können, erstellte Maciejewskis Firma eine Datenplattform. Diese Plattform erlaubt es, Gesundheitsdaten aus verschiedenen Quellen wie Genetik, am Körper getragene Geräte zum Erheben von Gesundheitsdaten oder Ernährungsgewohnheiten positiv zu verdichten, zu visualisieren und analysieren. So entspringe ein genaueres, bzw. gesteigertes Verständnis über verschiedene Vorgänge im Körper, welches die Grundlage der Prävention von Krankheiten und zur Optimierung der Gesundheitsdauer zukommen lasse, äussert sich Maciejewski und meldet damit eine ehrgeizige Zielsetzung an. Nämlich, dass 75-Jährige eine Lebensqualität wie 50-Jährige haben werden, ohne chronische Krankheiten wie Demenz, Krebs, Parkinson oder Diabetes.
Viele unternehmerische Initiativen für die Langlebigkeit würden schon in der Schweiz bestehen, sagt Maciejewski. Geplant sei in Zug oder Basel ein Hochschulgeände für Forschungen dieser Art.
Auf dem Gebiet der Anti-Aging- Untersuchung setzt sich auch das Start-up Amazentis ein. Es wirkt in der Westschweiz, und arbeitet mit dem Centre hospitalier universitaire vaudois und mit Nestlé Health Science zusammen. Die 2007 von ETHL-Forschern gegründete Firma beabsichtigt, sich der Atrophie (Muskelschwund) im Alter entgegenzustellen und entwickelte dazu Nahrungsergänzungsmittel. Erste Studien zeigen, dass damit die Konstitution von Muskelzellen verbessert werden kann.
Zum zeitgemäßen Methusalem fördern auch ETH-Forscher einiges zutage. Gemeinsam mit Kollegen der Harvard Medical School und der University of Liverpool konnten sie aufzeigen, dass Rilmenidin, ein Mittel gegen hohen Blutdruck umgeformt werden kann, um die individuelle Lebensdauer auszudehnen. Tiere, die mit Rilmenidin behandelt wurden, lebten zirka 20 Prozent länger als jene in einer anderen Kontrollgruppe. Als Forschungsmittel werden Collin Ewald (ETHZ), Gründer der Swiss Society for Aging Research vom Schweizerischen Nationalfonds, während sechs Jahren Fördergelder in Höhe von 2,6 Millionen Franken erteilt.
«Wir sind längst über das Stadium der Hoffnung und Versprechen hinaus.»
Big Pharma mochte bisher zwar nur vereinzelt auf die Forschung gegen das Altern aufspringen. Besagte Arzneimittelindustrie verdiene ja an jenen Geld, die früh erkrankten sowie daraufhin ein Leben lang auf Medikamente angewiesen seien, erzählt Maciejewski, dessen Start-up über fünfzig Angestellte global beschäftigt, hiervon vier in Zug.
Allerdings aufgesprungen sind immerhin Forscher von Roche. Diese fokussieren sich «auf die Verlängerung der Gesundheitsspanne – und nicht auf die Verlängerung der Lebensspanne», begründet Henri Jasper, Principal Fellow, Immunologie-Forscher bei Roche-Tochter Genentech. Dies sei das «bei weitem wesentlichere Ziel der Alternsforschung und Wissenschaft der regenerativen Medizin». Die letzten Jahre und Jahrzehnte des Lebens gesund zu verbringen, sei für zahlreiche Menschen der allergrösste Wunsch.
Roche und Genentech wirkten laut Jasper zuoberst an der Alternsforschung. Dabei zählt er konkret die Suche nach Regeneration von Zellfunktionen in Organen und Geweben sowie die Verbesserungen von Prozessen auf, die bei entzündlichen, altersbedingten oder chronischen Erkrankungen gehindert sind. Viele altersbedingte Erkrankungen könnten davon profitieren, wie beispielsweise die Wiederherstellung der Lungenfunktion bei fortschreitenden Erkrankungen wie idiopathischer Lungenfibrose oder die Umkehrung der Degeneration bei Alzheimer.
«Wir sind längst über das Stadium der Hoffnung und Versprechen hinaus», bekundet Nir Barzilai, der das Institut für Altersforschung am New Yorker Albert Einstein College of Medicine leitet. «Zwar können wir dem Tod immer noch nicht entfliehen, doch lernten wir, ihm zuvorzukommen,» Dessen ist der israelisch-amerikanische Mediziner gewiss, der sich seit dreissig Jahren mit der Wissenschaft der Altersverhinderung beschäftigt.
Hirn aufmöbeln, Muskeln entwickeln
Hinsichtlich des Auffindens von solch überaus vorteilhaften Lebensbrunnen bestehen weltweit bereits vielversprechende Ergebnisse. Ein britisch-italienisches Forscherteam fand bei Hundertjährigen gar ein Anti-Aging-Gen, welches das biologische Alter des Herzens nachweislich um zehn Jahre zurückzudrehen vermag. Dadurch liessen sich in einer Petrischale verwelkte Hautzellen eines 101-Jährigen zurückverwandeln, sodass diese sich verhielten, als wären sie nie zuvor gealtert. In einem Labor in Boston vermochte man es, alten und blinden Mäusen nicht nur ihre Sehfähigkeit wiederzugeben, sondern auch das Hirn zu verjüngen und die Muskelkraft neu aufzubauen.
Dass die Verlängerung des Lebens kein Hirngespinst ist, zeigt auch ein Blick auf die Statistik: Von 1900 bis 2020 verdoppelte sich die Lebenserwartung mindestens und ergibt heute durchschnittlich 73,4 Jahre. Die Kosten solcher Verlängerungen sind indes immens; dies nämlich in Form degenerativer und chronischer Erkrankungen; Krebs, Diabetes, Alzheimer, um nur einige zu schildern.
Altern und seine Kosten – über Sinn und «auf Kosten von was?»
Macht es hier noch Sinn, und lässt es sich ethisch verantworten, Leben unter allen Umständen auszudehnen? Entschieden äussert sich Andrew Steele dafür. Er hätte nach seinem Physikstudium an der Universität Oxford erkannt, dass das Altern die bedeutendste wissenschaftliche Herausforderung unserer Zeit sei und beschloss auf Computerbiologie, umzusatteln. Der Kampf gegen Alterung, ist er der Meinung, solle menschliche Beschwerden während des Lebensabends verringern, Gebrechlichkeit, Krankheit und kognitiven Zerfall abwenden sowie die Gesundheit, Selbständigkeit und Würde von Menschen hohen Alters erhalten. Seele weiterhin; «jeder moralische Einwand gegen Kuren während des Alterns müsste schwerwiegender sein als jene enorme Belastung durch Tod & Leid sowie die hohen wirtschaftlichen Kosten des Alterns, um wirklich gewichtig zu sein.»
Inzwischen gewähren Investoren Milliarden, um sich dem uralten Traum der Verjüngung anzunähern. Die betreffende Branche wird bis 2025 einen Marktwert von 610 Milliarden Dollar erlangen, eine Branche gemacht für ihren eigenen Aufschwung. Dies verkünden zumindest Experten. Auch die Versicherungswirtschaft weist ein ökonomisches Interesse daran auf. Dank verjüngenden Ergebnissen hofft sie, Gesundheitsprobleme vermeiden zu können. Sogar die saudische Königsfamilie investierte mit einer Milliarde Dollar und möchte so im eigenen Land Diabetes bekämpfen, und zwar mittels der Hevolution Foundation.
Investoren bringen Milliarden ein, um dem Traum von Verjüngung näher zu kommen.
Damit soll sich eine landesweite Datenbank anbahnen, die erste individualisierte Karte der saudischen Gesellschaft soll genetisch dokumentieren. Wobei sich westliche Kritiker an der Vorschrift monieren, genetische und persönliche Informationen einzuspeisen. Ebenso ehrgeizig zeigen sich Forscher der Methusalem-Stiftung aus Virginia, allerdings sind ihre Bestrebungen weniger fragwürdig. Sie beabsichtigen in sieben Jahren die «neunzig zu den neuen fünfzig zu machen». Erzielen möchten sie das mit der regenerativen Medizin und Gewebezüchtung.
Ferner nehmen auch bekannte Silicon-Valley-Manager an der Forschung in Richtung «Jungbrunnen» teil, beispielsweise Paypal-Mitbegründer Peter Thiel und Larry Ellison von Oracle, die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page sowie Amazon-Gründer Jeff Bezos.
Nicht hinter dem Berg mit seiner Berufung hält David Sinclair, der Vorreiter der Altersforschung, er fokussiert sich darauf, auch sein eigenes Altern zu verhindern oder wenigstens zu verzögern. Über ein Dutzend Unternehmen gründete er, um viel in diese zu investieren sowie, um Moleküle und Technologien für Langlebigkeit zu entdecken.
Zuweilen sorgen Langlebigkeits-Kauze für Schlagzeilen. Bryan Johnson, ein 45-jähriger Biotechunternehmer aus Utah beispielsweise. Um mindestens fünf Jahre reduziert habe er sein «biologisches Alter», merkte er gegenüber dem Wirtschaftsmedium Bloomberg an. Nun habe er das Herz eines 37-Jährigen und die Lungen eines jungen Menschen. Seine Verjüngungskur kostete ihm immens viel. «Rund zwei Millionen Dollar jährlich» gab er an. Ein Team von «Verjüngungsärzten» und mehr als dreissig Gesundheitsexperten stellte er an. Er habe inzwischen die Haut eines 28-Jährigen. «Mit sichtbarem Resultat,» so Johnson.
Günstigere Alternativen, Generika und Selbstversuche
Ist der Einsatz fürs «Jungbleiben» an teuere Massnahmen gebunden?
«Nein, das muss nicht sein!» Denn es gibt noch ein gewisser Nir Barzilai. Dieser Mann bahnt eine Studie in großem Stil an, um zu prüfen, ob ein kostengünstige Diabetesgenerikum mit dem Wirkstoff Metformin, um Jahre die Lebensspanne verlängern kann. Zudem erklärt er, dass Pharma-Multis bei der Altersforschung allgemein zurückhaltend sind. Dies, da bei Anti-Aging-Produkten oftmals der Patentschutz abgelaufen sei.
Sofern das besagte Nachahmerprodukt jedoch für die entsprechende neuartige Indikation zugelassen würde, stiegen sicherlich avancierte Biotech- und Pharmafirmen ins Geschäft «mit dem langen Atem», nimmt Barzilai an. Als Mediziner möchte er allerdings nicht abwarten, bis besagte Präparate erstmals zugelassen sind. Als Selbstversuch verordnet er sich daher selber Medikamente, welche ihn jugendfrisch halten sollten.
Auf die Frage nach einem Geheimtipp antwortet er: «Informieren Sie sich bei Ihrem Hausarzt.» Aber dämpft daraufhin gleich meine Erwartungshaltung: «Die sind allerdings meistens sehr konservativ.»
Autorin, S. Keller
Quelle umformuliert aus «Die Weltwoche»